Newsletter Oktober 2004  

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!

Diese Plenarwoche ist mehr als aufregend verlaufen. Die Debatten in den einzelnen Fraktionen und mit dem designierten christdemokratischen Kommissionspräsidenten Jose Barroso  über die bisher vorgesehene Zusammensetzung der neuen Kommission, die am 1. November 2004 ihr Amt hätte antreten sollen, sind äußerst heftig verlaufen. Schließlich hat der neue Kommissionspräsident angesichts des parteipolitisch motivierten Manövers einer ungewöhnlichen Front von den Sozialisten über die Liberalen und die Grünen bis zu den Postkommunisten auf eine Abstimmung über die Kommission verzichtet. 

Nunmehr wird der designierte Kommissionspräsident, dem alle wichtigen Fraktionen des Europäischen Parlaments ihr Vertrauen anschließend ausgesprochen haben, in den nächsten Tagen und Wochen in Gespräche mit den Regierungen der Mitgliedstaaten eintreten. Ziel dieser Gespräche wird es sein, durch neue Kandidaten aus einzelnen Staaten und eventuell durch eine neue Ressortverteilung unter den Kommissaren eine neue Zusammensetzung für die Kommission zu finden, die eine breite Zustimmung im Europäischen Parlament erreicht.

Bei neuen Kandidaten sowie bei einer neuen Ressortverteilung wird das Parlament erneut Anhörungsverfahren durchführen, um die persönliche Eignung der Kandidaten und die fachliche Eignung für die jeweilige Ressortzuständigkeit zu überprüfen. Auch wenn angestrebt wird, daß bereits in der Plenartagung Mitte November über die neue Kommission abgestimmt werden soll, so könnte das Verfahren doch eine weitere Verschiebung auf die Plenartagung in der Vorweihnachtswoche erforderlich werden lassen. Vorläufig bleibt die gegenwärtige Kommission unter dem Kommissionspräsidenten Romano Prodi geschäftsführend im Amt.

Auch wenn das linke Manöver keineswegs in der Sache motiviert gewesen ist, so hat es doch etwas Positives hervorgebracht. Da Regierungen wichtiger Mitgliedstaaten das Treiben ihrer Abgeordneten konkludent unterstützt haben, hat sich das Europäische Parlament zugleich gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaaten das Recht erstritten, eben nicht nur über die Kommission en bloc, sondern über jeden einzelnen Kandidaten zu entscheiden.

 

Hintergründe zum Konflikt über die Kommission

Der politische Streit im Europäischen Parlament über die Zustimmung oder Ablehnung der neuen Kommission basierte letztlich auf einem Machtkampf zwischen der Linken und Rechten Seite des Hauses. Die Sozialdemokraten, die Grünen und die Postkommunisten (aus Deutschland die PDS) wollten Revanche nehmen für die Wahl des Christdemokraten Jose Barroso zum designierten Kommissionspräsidenten durch das E P im Juli 2004 und ihre Macht im Parlament demonstrieren. Als die Mehrheit der Liberalen (aus Deutschland die FDP) auf die Linie der Linken Seite des Hauses umschwenkte, war keine Mehrheit für die neue Kommission mehr gegeben.

Nach außen ging es um die persönliche und fachliche Eignung der vorgeschlagenen weiteren 24 Mitglieder der neuen Kommission. Das Europäische Parlament hatte umfangreiche Anhörungen mit jedem der Kandidaten im jeweiligen Fachausschuß durchgeführt. Die Anhörungen hatten zwei besondere Ergebnisse hervorgebracht. Der Rechtsausschuß hatte dem italienischen christdemokratischen Kandidaten Rocco Buttiglione die Eignung für das Kommissarsamt zugesprochen, der Innenausschuß wegen seines Bekenntnisses zur strengen katholischen Morallehre knapp mit einer Stimme die Eignung abgesprochen. Bei dem ungarischen sozialdemokratischen Kandidaten Laszlo Kovacs hatte sich der Fachausschuß wegen seiner offenkundigen Ahnungslosigkeit in Fragen der Europäischen Energiepolitik zu keiner abschließenden Beurteilung durchringen können.

Nach diesen Ergebnissen hatte der designierte Kommissionspräsident Barrosso vorgeschlagen, eine übergreifende Kommissionsarbeitsgruppe für Fragen der Grund- und Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung einzusetzen, um so den Bedenken der Sozialdemokraten, der Grünen und Teilen der Liberalen gegen den Kandidaten Buttiglione wegen seiner persönlichen Ablehnung der Homosexualität Rechnung zu tragen. Dennoch wollte diese links-liberale Allianz die Kommission insgesamt ablehnen. Unsere Christdemokratisch/ Konservative Fraktion hielt und hält diese Ablehnung für unbegründet, denn in der Europäischen Union müsse auch ein strenggläubiger Katholik die Befähigung zu einem öffentlichen Amt haben. Es wäre mehr als widersprüchlich, wenn einerseits die Union von Beitrittskandidatenstaaten zu Recht die Gewährung der Religionsfreiheit verlangt und andererseits innerhalb der Union keine Toleranz gegenüber Christen gewähren würde.

Nachdem nun die Zusammensetzung der Kommission generell vom designierten Kommissionspräsidenten überprüft wird, leben auch Bedenken gegen andere Kandidaten wieder auf. Die lettische grüne Kandidatin Ingrida Udre ist in einen ungeklärten Parteispendenskandal in Lettland verwickelt und hatte bei ihrer Anhörung für ihr vorgesehenes Ressort "Steuern und Zollunion" eine schwache Figur abgegeben. Die niederländische christdemokratische Kandidatin Neelie Kroes hat bisher in so vielen Aufsichtsräten großer europäischer Unternehmen gesessen, daß ihre Unabhängigkeit als vorgesehene Kommissarin für Wettbewerb teilweise in Zweifel gezogen worden ist. Vergleichbare Bedenken hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit gibt es auch gegen die dänische liberale Kandidatin Mariann Fischer Boel als vorgesehene Landwirtschaftskommissarin, da ihr Mann ausgedehnte landwirtschaftliche Flächen bewirtschaftet.